2. Sonntag nach Trinitatis
Predigt zu Jesaja 55, 1ff
Den heute zu bedenkenden Text möchte ich von zwei Seiten her bedenken.
Für die erste Betrachtung nehme ich Sie / Euch gern mit an die Grenze:
Ich komme also auf meiner Reise nach England an die Fähre bei Dünkirchen. Es ist zugleich der Grenzkontrollpunkt zur nunmehr gewordenen EU-Außengrenze nach Großbritannien. Zuerst muss ich meine Fährreservierung vorzeigen. Dann kommt die französische Passkontrolle, dann der Zoll, dann darf ich weiterfahren zur nächsten Ampel. Dort erwartet mich die britische Passkontrolle, dann der Zoll und ein Sicherheitscheck. Ich muss alle Türen öffnen, es könnt sich ja jemand versteckt haben, ein illegaler Migrant. Dann erfahre ich das Privileg des deutschen Passes und darf weiter fahren Richtung Fähre und England. Das alles hat mich an die Kontrollen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze erinnert mit dem Unterschied, dass sie heute etwas freundlicher sind.
Ich besinne mich auf das Verheißene: Heute an diesem Sonntag ist es zu verlesen. Es galt einst den gefangenen Israeliten, die verschleppt waren, unter Zwang in der Fremde ein neues Leben unter Entbehrungen aufbauen mussten, wo es sie unterwegs gewiss oft dürstete und sie Hunger hatten;
Das Verheißene gilt allen Mühseligen und Beladenen, die täglich darum ringen müssen, das Lebensnotwendige zu verdienen, mit einem Job nicht ausreichen, von Urlaub auf Teneriffa nicht mal mehr träumen, statt dessen leere Flaschen sammeln um für irgendetwas Schönes ein wenig Geld zu haben.
Das Verheißene gilt uns, die wir hier zusammen sind, Lieder singen, einer Predigt folgen und vielleicht doch gar nichts Besonderes mehr erwarten, bestenfalls nach unserem Leben, doch im Jetzt und Hier?
Wir haben sie gehört, die Verheißung, die Jesaja allen zuruft:
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!
2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen Laben.
3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!
Was für eine Verheißung! Sie klingt märchenhaft, utopisch, doch gar nicht wirklich für heute und jetzt. Da gibt es in Gottes neuer Welt keine Schranken, keine Pass-und Zollkontrollen, vielmehr eine offene Einladung. Ja natürlich war diese einst eine Ermutigung für die Israeliten, aber ich glaube Gott so zu verstehen, dass diese Einladung durch die Zeiten gilt. Auch für mich, für alle.
Utopisch, märchenhaft, wenn da eingeladen werden alle, die mühselig und beladen sind.
Dafür werden jene, die sich damals stark gemacht haben in unserem Land, die die Grenzen geöffnet haben für die Verzweifelten, dafür werden sie heute noch verurteilt, politisch abgestraft, mindestens als naiv bezeichnet. Daran muss ich in diesem Zusammenhang auch denken.
Umso mehr als wir alle die Bilder der Verzweifelten, der Mühseligen in unserer Welt vor Augen haben, ist es nötig, solche Texte wie den des Jesaja zu lesen, zu hören, zu Herzen zu nehmen.
Ich will das nicht weiter ausführen, vielmehr den Gedankengang umkehren. Denn stutzig bin ich geworden, als ich die Übersetzung des hebräischen Wortes, das Luther mit „Kommt“ übersetzt hat lese, denn eigentlich müsste es richtigerweise heißen „Geht“. Und das ist die zweite Seite meiner Betrachtung für den heutigen Verheißungstext.
Denn ja, irgendwie trifft das auch auf mich, auf uns zu.
Wenn ich den Eindruck habe, irgendwie ist alles festgefahren, irgendwie passiert nichts bewegendes mehr, irgendwie wird das Lamentieren über scheinbar unveränderliche Gegebenheiten immer größer, dann bleibt für mich nur eins: Losgehen.
Das jedenfalls ist die Erfahrung der Israeliten damals. Das ist eine Erfahrung, die sich durch die Bibel hindurch zieht. Durch bloßes Abwarten kann nichts Bewegendes passieren.
Das „auf, geht“ im Jesajatext meint nicht eine ultimative Aufforderung, sondern eher eine Einladung, an dem Reichtum des Lebens teilzuhaben.
Ja und so entdecke ich in diesem Text nicht nur die Menschen wieder, die aus ganz profanen existentiellen Nöten aufgebrochen sind, damals wie heute, ich entdecke mich selbst darin wieder. Nein ich habe keine existentiellen Nöte und doch spüre ich ab und an den Drang loszugehen, losgehen und mich Neues suchen. Die zuletzt verbrachten Wochen in England waren für mich ein Teil dieser Suche. Ich suche und finde so viele Impulse für mein Leben und auch das unserer Gemeinde …..
Nein es ist nicht so, das in England etwa besser läuft.
Da ist die Kirche nicht weniger überaltert, als bei uns, zumindest was jene anbelangt, die am kirchlichen Leben teilhaben. Es ist eine Kirche, die genau so um den Erhalt ihrer Denkmäler zu kämpfen hat, deren Status von manchen in Frage gestellt wird.
Und zugleich versuchen sie wie wir, offen zu sein, sammeln wie wir für die Tafel, beten wie wir in unseren Gemeindegruppen, sind wie wir nur manchmal sehr wenige, die zusammenkommen, haben wie wir Tische aufgestellt an denen zum Kaffee und Beisammensein eingeladen wird. (Es gibt auch so manch Überraschendes, von dem ich gern extra berichte.)
Und nun bin ich wieder hier und denke, dass wir auch das Richtige und nötige versuchen um eine offene Kirche zu sein. Nun irgendwas/ irgendwer fehlt.
Ja, sagt Gott, ich sitze auch gern bei Euch, vor allem beim Kirchencafé und den wunderbaren Kuchenkreationen, die da oft mitgebracht werden. Ich höre zu, was die Leute bewegt. Und ich merke auch, dass sie bewegt sind, noch etwas wollen an diesem Ort hier. Er soll einladender werden, neugierig machen.
Aber vielleicht reicht das auch nicht aus. Was noch? Nun ihr könntet einfach das Kirchencafé nach draußen verlagern.
Macht es wie heute, vielleicht ab und an an einem ganz normalen Wochentag. Geht aus der Kirche hinaus und setzt Euch davor.
Oder ihr nehmt den Jugendbus und fahrt damit auf den Süplinger Berg und ladet mal andere ein, die kaum in die Kirche kommen würden. Ihr müsst ja keine Predigt halten, einfach Kaffee anbieten und es machen wie ich: Zuhören. Probiert es aus oder auch etwas anderes.
Geht einfach los, geht hinaus auf die Straßen und an die Ränder der Stadt und ladet zum Kaffee ein.
So höre ich Gott in meinem Inneren und dabei will ich mich erinnern an das, was verheißen ist einst den Israeliten und durch Jesus von Nazareth durch die Zeiten allen Völkern: alle sollen teilhaben an Gottes neuer Welt. Alle sind eingeladen zum Wasser des Lebens, das es umsonst gibt.
Hört, so werdet ihr leben. Amen.